Wir fördern den konstruktiven Dialog

Die Ökologin Dr. Deike Lüdtke und die Sozial- und Kulturanthropologin Anna Brietzke bringen in einem Team aus Sozial- und Naturwissenschaftler*innen sowie weiteren Expert*innen Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen zusammen, um die Debatte um den Wald der Zukunft weiterzubringen. Warum das wichtig ist, erklären sie im Interview.

Dr. Lüdtke, Sie sind Ökologin und leiten das Waldkonflikte-Projekt. Was bedeutet Ihnen der Wald persönlich?

Deike Lüdtke: Der Wald erinnert mich an viele schöne Erlebnisse in meiner Kindheit – dieser Geruch, die raschelnden Blätter im Wind, das Licht, das durch die Baumkronen dringt. Seit meinem Biologiestudium schätze ich Wälder auch für das, was sie uns an Lebensgrundlagen geben. Sie liefern Holz, sind wichtig für die Reinigung von Trinkwasser, nehmen Kohlendioxid aus der Luft auf und geben Sauerstoff ab. Sie schützen vor Erosion und Wind und kühlen die Umgebung. Natürlich sind sie auch enorm wichtig für unsere Biodiversität. Und das sind nur einige Beispiele dafür, was uns Wälder geben. Es sind einfach fantastische Ökosysteme.

Frau Brietzke, Sie promovieren über Waldkonflikte und haben dafür bereits mit vielen verschiedenen Menschen gesprochen, denen der Wald wichtig ist.

Anna Brietzke: Ja, genau. Ich habe bisher mit Privatwaldbesitzenden gesprochen und mit Vertreter*innen von Umwelt- und Naturschutzverbänden, mit Waldbesitzerverbänden, aber auch mit Mitarbeitenden eines Nationalparks und einer Landesbetriebsleitung. Diese Menschen haben ihr Wissen und ihre Perspektiven mit mir geteilt und mir gezeigt, dass die Positionen zum Umgang mit unserem Wald viel komplexer sind als oft in den Medien dargestellt. Es ist nicht einfach so, dass die einen aufforsten und die anderen den Wald sich selbst überlassen wollen, oder dass die einen Totholz liegen lassen und die anderen es wegräumen wollen. Die Konflikte um den Wald sind deutlich verwobener und vielschichtiger. Mit unserem Waldkonflikte-Projekt wollen wir genau das untersuchen. Was steckt eigentlich hinter den Argumenten? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Wie ändern sich die Debatten von Waldgebiet zu Waldgebiet? Und: Wir schauen uns dafür lokale Fallbeispiele an, um zu sehen, wie Konflikte dort genau aussehen.

Deike Lüdtke (links) ist seit Juli 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISOE. Sie promovierte 2019 an der Eberhard-Karls Universität Tübingen im Bereich Evolutionsökologie.
Anna Brietzke (rechts) ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISOE. Sie studierte Lateinamerika- und Altamerikastudien und English Studies (B.A.) in Bonn sowie Kultur- und Sozialanthropologie (M.A.) in Marburg.

Um was geht es denn konkret bei diesen Waldkonflikten?

Anna Brietzke: Da wird diskutiert, wie viel Holzeinschlag vertretbar oder notwendig ist, wie man Waldbrände am besten verhindert oder auf welchen Flächen Windkraft erlaubt sein sollte und wo nicht. Aber auch das Wassermanagement im Wald ist ein wichtiges Thema. Man will einerseits Trinkwasser gewinnen und andererseits auch die Grundwasserneubildung ermöglichen. Es gibt auch verschiedene Positionen dazu, wie alt die Bäume werden dürfen und in welchem Umfang Tiere im Wald bejagt werden. Und das sind nur ein paar der Konfliktfelder.

Wie unterscheiden sich diese Positionen genau?

Anna Brietzke: Zum Beispiel das Thema Kohlenstoffspeicherung: Einige sind der Auffassung, es sei gut, wenn wir möglichst viele Bäume wachsen lassen und dann fällen, um sie vorwiegend für das Bauen mit Holz zu verwenden. Dadurch ließen sich klimaschädliche Baustoffe wie Beton ersetzen und CO2 langfristig binden. Andere wiederum halten dagegen, dass CO2 viel besser gebunden werde, wenn der Wald insgesamt möglichst alt wird und dabei weniger statt mehr genutzt wird. Nur dann könne er widerstandsfähiger sein und seine Funktionen weiterhin erfüllen, darunter auch die Klimaschutzfunktion. Das ist auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, die gerade noch im Gang ist – und die noch viel mehr Faktoren beinhaltet, als ich an dieser Stelle aufzählen kann.

Deike Lüdtke: Außerdem geht es natürlich auch um Wälder als ökonomische Ressource. Denn die einzige Möglichkeit, mit Wäldern Geld zu verdienen, ist im Moment noch der Verkauf von Holz. Alle anderen „Leistungen“, die Wälder erbringen, sei es die Bindung von Kohlendioxid oder die Abgabe von Sauerstoff oder auch die positiven Beiträge zum Wasserkreislauf, werden den Eigentümer*innen nicht vergolten. Wie bringt man also die zunächst kontrovers erscheinenden Interessen wie etwa Holzeinschlag versus Naturschutz zusammen? Das ist nicht so leicht zu beantworten. Hier zeigt sich, dass es bei vielen der skizzierten Konflikte auch darum geht, welche Aufgaben priorisiert werden: Klimaschutz und -anpassung, Natur- oder Biodiversitätsschutz oder Wirtschaftlichkeit.

Den Wäldern geht es auch ökologisch nicht so gut. Nicht nur, weil Bäume gefällt werden, sondern auch durch den Klimawandel. Wir haben in Deutschland seit Jahren eine Dürre im Unterboden, es kommt zu Schädlingsbefall und Waldbränden. Welche Rolle spielt das in den öffentlichen Debatten über den Wald?

Deike Lüdtke: Der aktuelle Waldzustandsbericht zeigt, dass es den Wäldern schlechter geht als früher. Dabei muss man aber auch sagen, dass es regional sehr große Unterschiede gibt. In manchen Wäldern ist selbst in den trockenen Jahren noch ausreichend Niederschlag gefallen – da sieht es nicht ganz so schlimm aus. Aber insgesamt sind die Dürre und der Trockenstress natürlich ein großes Problem und bringen weitere Schäden mit sich. Wälder haben dadurch auch weniger Abwehrkräfte gegen Schädlinge. Die Auswirkungen sind mittlerweile so offensichtlich, dass das Thema in der öffentlichen Debatte sehr präsent ist. Ich glaube, alle sind sich einig, dass wir dringend etwas zum Erhalt unserer Wälder unternehmen müssen, weil sie extrem wichtig für unsere Gesellschaft sind.

Anna Brietzke: In unserer Forschung zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es bei allen Konflikten durchaus auch verbindende Werte gibt, denn wir haben von vielen Gesprächspartner*innen gehört, dass sie den nächsten Generationen einen gesunden und widerstandsfähigen Wald hinterlassen wollen.

Deike Lüdtke: Und dafür braucht es eine nachhaltige Waldnutzung und Bewirtschaftung. Aber die Frage ist eben, wie sieht die genau aus? Da gibt es verschiedene Auffassungen und auch wissenschaftlich noch Unsicherheiten.

Sie erforschen Methoden der Verständigung für Waldkonflikte. Wie gehen Sie da heran?

Anna Brietzke: Unser Ausgangspunkt ist die Frage, welche Arten des Dialogs die Parteien näher zueinander bringen, anstatt sie weiter voneinander zu entfernen. Allerdings gibt es nicht die eine Lösung für alle Konflikte. Unser Ansatz ist daher, dass die beteiligten Akteure vielmehr für jede Region und jeden Konflikt passende Lösungsansätze erarbeiten. Dabei setzen wir zu Beginn in verschiedenen Regionen auf Runde Tische. Sie sind ein guter Weg, um die beteiligten Akteure ins Gespräch zu bringen und Verständnis für die jeweiligen Sichtweisen zu entwickeln. Wir selbst bleiben dabei allparteilich. Das heißt, es geht uns nicht darum, eine eigene Perspektive einzubringen. Stattdessen wollen wir uns in jede einzelne Person und Konfliktpartei hineinversetzen. Schließlich untersuchen wir auch, wie die Akteure gemeinsam Lösungsansätze entwickeln.

Deike Lüdtke: Bei der Entwicklung von Lösungen arbeiten wir mit einer erfahrenen Mediatorin zusammen. Ihre Aufgabe ist es, zwischen den Parteien und den unterschiedlichen Meinungen zu vermitteln und Verständnis aufzubauen. Da geht es um den Perspektivwechsel. Aber der erste Schritt ist natürlich, einen konkreten Konflikt erstmal zu verstehen, seine Konstellation und Dynamiken. Dafür treffen sich die Parteien an Runden Tischen. Ganz wichtig ist es auch zu verstehen, welche Wertevorstellungen und persönlichen Erfahrungen die Beteiligten da hineinbringen. Die sind zunächst nicht immer offensichtlich, können aber sowohl zum Konflikt als auch zu seiner Verarbeitung beitragen.

Ihr Projekt dauert insgesamt drei Jahre. Welche Erkenntnisse können wir uns von Ihnen am Ende erhoffen?

Deike Lüdtke: Zum einen werden wir besser verstehen, wie Akteure in den von uns untersuchten Regionen bei der Suche nach Konfliktlösungen vorgegangen sind und im besten Fall welche Maßnahmen sie für das jeweilige Waldgebiet gemeinsam erarbeitet haben. Zum anderen wollen wir aus den jeweiligen Fallbeispielen lernen und Empfehlungen erarbeiten, die zeigen, wie Rahmenbedingungen für einen konstruktiven Dialog aussehen. Und was Betroffene selbst tun können, um mit den anderen Parteien ins Gespräch zu kommen, sobald sich ein Konflikt abzeichnet oder dieser bereits besteht.