Wie Runde Tische und Mediation zu Lösungen beitragen

Das Forschungsprojekt „Konflikte um den Wald der Zukunft“ untersucht das Format des „Runden Tischs“ als Strategie zur Lösung von Konflikten. Michael Kreß-Ludwig, Leiter des Forschungsfelds Transdisziplinarität am ISOE, koordiniert zusammen mit seiner Kollegin Deike Lüdtke das Projekt federführend.

Bei den Runden Tischen, die im Rahmen des Projekts seit Jahresbeginn 2024 an mehreren Orten in Deutschland durchgeführt wurden, ist die Rolle eines*r Mediators*in als einer dritten Partei neben Teilnehmenden und Wissenschaftler*innen von vornherein im Forschungsdesign mitgedacht. Warum?

Michael Kreß-Ludwig: Wir untersuchen im Waldkonflikte-Projekt, auf welchem Weg wir in kontroversen Transformationsprozessen zu guten Lösungen kommen. Uns geht es also um den Prozess, um das Verfahren einer Konfliktlösung zwischen sehr unterschiedlichen Interessengruppen. Aus unserer Erfahrung wissen wir: Bei der Bearbeitung von Konflikten hilft eine neutrale Figur, die den Prozess steuert. Diese Rolle nennen wir in der Mediation „allparteilich“. Wir als Forschende können diese Rolle nicht einnehmen.

Michael Kreß-Ludwig ist seit 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISOE und leitet seit April 2023 das Forschungsfeld Transdisziplinarität. Zuvor arbeitete er am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und am Zentrum für Erneuerbare Energien (ZEE) der Universität Freiburg in verschiedenen Projekten der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung. Er hat Soziologie, Psychologie und Ethnologie an der Universität Heidelberg studiert und an der Universität Freiburg zu bürgerschaftlichem Engagement in der Energiewende promoviert.

Warum nicht?

Wir haben es bei unseren Projekten im Allgemeinen mit sehr heterogenen Akteur*innen zu tun, darunter möglicherweise auch konservativeren und im Ansatz wissenschaftsskeptischeren Gruppen. Da werden wir Forschende schon mal mit Argusaugen betrachtet. Wenn wir dann noch als „sozial-ökologische Nachhaltigkeitswissenschaftler“ daherkommen, wird es oft nicht einfacher. Ein*e Mediator*in kann diese Skepsis auffangen: Mediator*innen treten anders auf als wir, sprechen anders mit den Leuten. Die Mediatorin, mit der wir im Projekt zusammenarbeiten, stellt sich bei unseren Veranstaltungen zum Beispiel nicht mit ihrem Doktortitel vor. Das öffnet Türen und fördert eine Atmosphäre des Vertrauens.

Da sitzen dann also Waldbesitzer*innen, Forstwirt*innen, Jäger*innen, Umweltschützer*innen, Anwohner*innen, Wanderfreund*innen und die Verwaltung samt Bürgermeister*in zusammen und haben sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie man den Wald zukunftsfit machen könnte – und dann macht die Anwesenheit einer Mediatorin alle zu zahmen Lämmern?

Zu zahmen Lämmern vielleicht nicht unbedingt – das ist gar nicht das Ziel. Wir wollen ja die unterschiedlichen Perspektiven in den Konflikten und die dadurch entstehenden Spannungen kennenlernen. Der Unterschied ist aber tatsächlich spürbar. In unserem Projekt haben wir den Anspruch, unterschiedliche Perspektiven zu erfassen und auf dieser Basis einen Lösungsweg zu erarbeiten, den alle Akteursgruppen teilen können. Das ist nicht einfach. Wenn wir beim Thema Wald die Interessen Klimaschutz, Klimaresilienz, Naturschutz, Umweltschutz, Umweltbildung und touristische Nutzung unter einen Hut bekommen wollen mit den Interessen und Zielen von Forstwirtschaft, Jagd und Energiewirtschaft, dann ist das eine sehr komplexe Konstellation. Da braucht es eine Instanz, die den Austausch rahmt, Gesprächsleitfäden erarbeitet und umsetzt, auf nichtbewertendes Sprechen achtet, Positionen verschriftlicht, die Perspektiven integriert. Und das macht die Mediation.

Auch wenn das Waldkonflikte-Projekt im engeren Sinne nicht transdisziplinär forscht, haben Sie es hier mit heterogenen Gruppen sowie grundverschiedenen Perspektiven und Bedürfnissen zu tun. Das ist herausfordernd. Da eine neutrale Moderatorin oder einen Mediator hinzuzunehmen – ist das nicht längst etablierte Praxis?

Nein, die Praxis ist eher, dass sich transdisziplinär Forschende oft vor enorme Anforderungen gestellt sehen. Sie müssen in einem Forschungsprozess quasi zur Hälfte Wissenschaftler*in und zur anderen Hälfte Vermittler*in und Integrationsexpert*in sein, also sowohl die eigene Disziplin beherrschen als auch parallel die Aufgabe der Integration der Wissensbestände sehr unterschiedlicher Akteursgruppen erfüllen. Das ist einfach sehr viel. Es wird daher schon länger diskutiert, ob es sinnvoll ist, dass transdisziplinär Forschende Alleskönner*innen sein müssen – oder ob es nicht spezielle Integrationsexpert*innen geben sollte. Ich persönlich denke: Auch wenn für mich gerade die Vielfalt der Aufgaben einen großen Reiz in der transdisziplinären Forschung ausmacht, müssen wir Forschende nicht unbedingt das Mediieren von Großgruppenprozessen beherrschen. Wir müssen uns dieser Herausforderung bewusst sein, aber wir müssen uns ihr nicht immer auch stellen. Wir können guten Gewissens sagen: Dafür brauchen wir eine*n Mediator*in.

Worauf sollte bei der Wahl eines*r geeigneten Mediators*in geachtet werden?

Es ist hilfreich, wenn die Person nach dem Mediationsgesetz zertifiziert ist und nachweisbare Erfahrungen in dem jeweiligen Themenfeld hat, zum Beispiel im Naturschutz. Sie muss verschiedene Methoden beherrschen, darunter gewaltfreie Kommunikation und neutrale Moderation. Erfahrung in Umweltkonflikten sowie Sicherheit bei der Moderation von Großgruppen sind außerdem entscheidend für die meisten Projektkonstellationen.

Ist es denn in der konkreten Situation an einem Runden Tisch überhaupt möglich, die Rollen zwischen Forschenden und Mediator*in strikt zu trennen? Schweigende Beobachtung auf der einen, Gesprächsführung, Prozessmanagement und Gruppenanleitung auf der anderen Seite?

Wir machen bei jedem Runden Tisch am Anfang eine Rollenklärung. Die Mediation bringt kein Expertenwissen ein und ist tatsächlich nur für den Prozess zuständig. Ich als Projektleiter übernehme häufig eine Zwischenrolle, bin Wissenschaftler und Co-Moderator, unterstütze die Moderation, indem ich zum Beispiel Kärtchen beschrifte und Gesagtes visualisiere. Ich mache meine Doppelrolle aber immer transparent. Und dann gibt es die Kolleg*innen, die als Wissenschaftler*innen analytisch auf den Prozess schauen, rein beobachtend dabeisitzen und wenig bis gar nicht in den Dialog intervenieren. Das würde für zu viel Irritation sorgen.

Ein klassisch mediierter Prozess hat einzelne Phasen und Prozessschritte: Nach Konfliktbeschreibung und Themensammlung kommen Interessenäußerung, Lösungsformulierung und Abschlussvereinbarung. Wie handeln Sie als Projektleitung mit der Mediation aus, wann welche Phase dran ist? Wie aufwendig also sind Vor- und Nachbereitung eines Runden Tischs?

Wir hatten durchaus schon die Situation, dass der nächste Schritt klar definiert gewesen wäre, wenn wir nach der rein klassischen Mediation vorgegangen wären. Wir als Wissenschaftler*innen wollten aber gern noch etwas vertiefen: Menschen kommen einfach anders miteinander in Austausch und in Lernprozesse, wenn sie sich direkt im oder am Forschungsobjekt bewegen und nicht nur in grauen Räumen sitzen. Bei unserem letzten Runden Tisch zum Beispiel haben wir mit allen eine Waldbegehung gemacht, sind also direkt rein ins „Untersuchungsobjekt“. Das muss vorher natürlich mit der Mediation geklärt sein. Vor- und Nachbesprechungen sind von daher zeitaufwendig, ja, aber dieser Austausch ist methodisch spannend, bereichernd und reduziert im Endergebnis Arbeit.

Wirkt sich denn ein durch Mediation begleiteter Prozess auch messbar auf Ihre Forschungsergebnisse aus?

Das ist eine spannende und wichtige Frage, da unser Projekt ja vor allem den Prozess und nicht die Lösungen untersucht. Wir wollen wissen, welche Konfliktlösungsstrategien für unseren je konkreten Fall funktionieren – und welche davon auch auf andere Kontexte übertragbar sind. Ich würde sagen: Für unser Forschungsprojekt ist die Mediation definitiv notwendig, damit wir als Forschende überhaupt von außen auf den Prozess draufschauen und ihn analysieren können. Aktuell gehe ich daher davon aus, dass auch die Ergebnisse beziehungsweise die in den Fallstudien gefundenen Lösungen qualitativ besser sind, da sie von ganz verschiedenen Wissensträger*innen gemeinsam erarbeitet worden sind.

Welche Form bekommen denn die Ergebnisse?

Das Projekt endet im nächsten Jahr. Zum Abschluss wollen wir unsere Ergebnisse in einer Art Handbuch, einem Leitfaden vorstellen. Dieser soll Praxisakteur*innen und begleitenden Wissenschaftler*innen zeigen, wie Waldkonflikte gut mediiert und wie diese Prozesse gestaltet werden können. Also: Welche Akteursgruppen müssen einbezogen werden, welche Verfahren und Methoden sind sinnvoll, welches Szenario, welches Planspiel, welches Rollenspiel, welche Form der Visualisierung haben einen Mehrwert gebracht? Und: Auf welche Kontexte, zum Beispiel andere Regionen, andere Akteursgruppen oder auch andere Themenbereiche, ist unser Vorgehen übertragbar?

Heißt das: Die Zielgruppe für diesen Leitfaden sind professionelle Mediator*innen?

Weniger. Wir zielen eher auf Behörden, Waldbesitzer*innen, Jäger*innen, Kommunalverwaltungen und Bürgermeister*innen, die bei sich in der Region ein Problem identifiziert haben, das sie bearbeiten wollen. Leute, die lokal Schalthebel in der Hand haben. Diese Gruppen sollen erkennen, dass Mediation und ähnliche Verfahren sinnvoll sind. Dass man nicht alles alleine machen muss, sondern sich begleiten lassen kann, neutral und methodisch vielfältig. Wir wollen neben dem Leitfaden auch noch dialogische, zielgruppenspezifische Formate entwickeln, um unsere Erkenntnisse in die Breite zu tragen: Lernexpeditionen, Transferworkshops, Fachveranstaltungen.

Zusammenfassend ließe sich also sagen: Gerade transdisziplinär Forschende sollten Mediator*innen in ihre Projekte einbinden – und diese wichtige Rolle auch in ihre Forschungsanträge schreiben?

Ja. Die transdisziplinäre Forschung ist ein Prozess, in dem viele unterschiedliche Handlungs- und Zeitlogiken integriert und viele Teamkonflikte gemanagt werden müssen. Da entlastet die Hinzunahme einer Mediation oder einer anderen Form von externer Moderation enorm. Ein*e Mediator*in bringt die notwendigen kommunikativen und integrativen Kompetenzen mit, die sonst von den transdisziplinär Forschenden on top verlangt werden – was die Arbeit durchaus facettenreich und spannend macht, manchmal aber auch schlichtweg überfordert.

Ein mediiertes Projektteam kann auch intern harmonischer und zielorientierter arbeiten. Eine Person dabeizuhaben, die mediatorisch geschult ist und über sozial-kommunikative Kernkompetenzen verfügt, kann die Qualität, Anwendbarkeit und Akzeptanz der erarbeiteten Lösungen deutlich verbessern. Diese Position sollte in der transdisziplinären Forschung schon bei der Antragstellung berücksichtigt werden. Sie ist meiner Ansicht nach gerade bei großen Projekten und bei Themen, die auch konfliktträchtig sind, für ein gutes Forschungsergebnis sehr sinnvoll.

Zum Projekt „Konflikte um den Wald der Zukunft“

Unsere Wälder müssen umgebaut werden, damit sie nachhaltig gesund bleiben. Dieser Transformationsprozess birgt Konflikte. Wie soll mit Kalamitätsflächen nach Bränden, Dürren oder Borkenkäferbefall umgegangen werden, wie können die Interessen von Forstwirtschaft, Naturschutz und Tourismus unter einen Hut gebracht werden? Das ISOE beforscht am Beispiel spezifischer Konfliktfälle Ansätze, um mit entstehenden Konfliktsituationen präventiv umzugehen und alle Stakeholdergruppen zu integrieren. Konfliktfälle, die sich zur Beforschung eignen, werden durch Pressesichtungen, Internetrecherche und Gespräche identifiziert. Sie müssen sichtbar sein, dürfen aber eine bestimmte Eskalationsstufe noch nicht überschritten haben. Ins Forschungsdesign sind keine Praxisakteur*innen einbezogen, die Auswertung erfolgt innerwissenschaftlich. Das Projekt läuft seit 2023, Runde Tische werden seit Anfang 2024 durchgeführt, als Fallstudien aktuell in zwei Regionen. Die Projekte sind jeweils so angelegt, dass der Runde Tisch insgesamt fünf Mal zusammenkommt. An einem Runden Tisch nehmen meist zwischen 7 und 35 Personen teil, dazu drei bis vier Wissenschaftler*innen sowie der*die Mediator*in.