(Un)sichere Waldzukünfte verhandeln
Viele Wälder in Deutschland befinden sich derzeit in einem grundlegenden Wandel. Im Zuge des Klimawandels verändern Trockenheit, Hitze, Borkenkäfer, Pilzkrankheiten und Waldbrände die Wälder teilweise enorm. Inzwischen wird daher vielerorts nach Wegen gesucht, sie widerstandsfähiger zu machen. Die Sozial- und Kulturanthropologin Anna Brietzke nimmt in ihrem Promotionsprojekt die unterschiedlichen Vorstellungen vom „Wald der Zukunft“ in den Blick und untersucht, wie auf verschiedene Art und Weise diese Zukünfte gestaltet werden.
Anna Brietzke ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung. Sie studierte Lateinamerika- und Altamerikastudien und English Studies (B.A.) in Bonn sowie Sozial- und Kulturanthropologie (M.A.) in Marburg. In ihren Schwerpunkten Umweltanthropologie und Konfliktanthropologie forscht sie insbesondere zu Mensch-Umwelt-Beziehungen sowie Umwelt- und Ressourcenkonflikten.
Wenn über die Zukunft der Wälder in Deutschland debattiert wird, kommen viele unterschiedliche Perspektiven ins Spiel, schließlich kommt Wäldern eine wichtige Rolle für Naturschutz, Klimaschutz, Holzwirtschaft, Erholung, Tourismus, Jagd und Bildung zu. Seit Jahrzehnten verhandelte Fragen über die Nutzung der Wälder haben in Deutschland in den letzten Jahren eine neue Dimension angenommen. Die sich daraus ergebenden Konflikte adressiert das Forschungsprojekt „Konflikte um den Wald der Zukunft“, in das die Promotion von Anna Brietzke eingebunden ist. Das interdisziplinäre Projektteam unter Leitung des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung untersucht aktuelle lokale Konflikte und ihre Dynamiken und bearbeitet diese dialogorientiert mit den beteiligten Akteur*innen.
Runde Tische
Das Forschungsprojekt führt Runde Tische durch. Hier kommen Beteiligte aus Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung in einem vertraulichen Rahmen zusammen, tauschen sich aus und erarbeiten – unterstützt von einer professionellen Moderation – gemeinsam Lösungsansätze für konkrete Waldkonflikte in ihrer Region.
Die Promotion der Sozial- und Kulturanthropologin Anna Brietzke setzt an diesen Runden Tischen an: Sie nimmt die im Forschungsprojekt untersuchten Konfliktdynamiken aus sozial- und kulturanthropologischer Perspektive in den Blick und legt einen Fokus auf die Zukunftsvorstellungen und (Un)sicherheiten der beteiligten Akteure. Denn angesichts der ungekannten Entwicklungen stößt deren Wissen an Grenzen. Gleichzeitig zeigt sich, dass es nicht ausreicht, mehr Wissen und mehr Daten über den Klimawandel und Klimaanpassung im Wald zu generieren: Vielmehr besteht die zentrale Herausforderung darin, Wege zu finden, um mit bestehenden Unsicherheiten umzugehen.
Am Beispiel ausgewählter Waldgebiete untersucht Anna Brietzke daher, wie die beteiligten Akteur*innen sich den Wald der Zukunft vorstellen und welche Unsicherheiten sie dabei wahrnehmen. Sie erkundet auch, welche Praktiken die Akteur*innen anwenden, um mit diesen Unsicherheiten umzugehen und wie diese Aspekte auf den Dialog an den Runden Tischen einwirken.
Forschungsfragen
In ihrer Promotion untersucht Anna Brietzke folgende Fragen:
1) Wie werden Zukunftsimaginationen und (Un)sicherheiten diskursiv dargestellt und wie wird praktisch mit ihnen umgegangen? Diese Erkenntnisse in Relation zu den lokalen Konfliktdynamiken setzend, möchte sie außerdem folgende Frage beantworten:
2) Inwiefern wirkt dieses Zusammenspiel in Aushandlungen um Waldzukünfte hinein? Darüber hinaus setzt sie sich exemplarisch mit dem sozial- und kulturanthropologischen Potenzial für transdisziplinäre Zukunftsforschung und -gestaltung auseinander:
3) Auf welche Art und Weise können sozial- und kulturanthropologische Perspektiven Beiträge zu Gestaltungsprozessen von Zukünften leisten?
Die Promotion mit dem Arbeitstitel „(Un)sichere Waldzukünfte verhandeln“ erfolgt in dem Fach Sozial- und Kulturanthropologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie am ISOE. Methodisch basiert die Arbeit auf ethnografischer Feldforschung in lokalen Fallbeispielen. Die qualitative sozial-empirische Forschung fußt auf einer einjährigen Feldphase mit teilnehmender Beobachtung, leitfadengestützten Interviews und offenen Gesprächen sowie partizipativen Forschungsmethoden wie dem Go-Along-Interview, bei dem die Gespräche im Wald und im Gehen stattfinden.
Go-Along-Interviews
Beim Go-Along werden die Gesprächspartner*innen auf ihren Wegen durch den Wald begleitet. Dabei geht es darum, den Wald in das Gespräch einzubeziehen und die unmittelbare Wahrnehmung der Gesprächspartner*innen aufzugreifen. Die Gesprächspartner*innen werden dazu angeregt zu erzählen, was sie in Bezug auf den Wald bewegt. Das gemeinsame Gehen im Wald regt zu spontanen Erzählungen an, gleichzeitig können Beobachtungen und Irritationen im Gespräch thematisiert werden.
Konzeptionell ist die Arbeit an den Schnittstellen von Umweltanthropologie, Konfliktanthropologie und Anthropologie der Zukünfte verortet. Sie soll das Verständnis über die Vielfältigkeit von Waldzukünften erweitern und aufzeigen, was Unsicherheiten für die Gestaltung von Wäldern bedeuten, zumal diese Unsicherheiten von verschiedenen Akteur*innen sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Mit ihrer Forschung möchte Anna Brietzke die Mehrstimmigkeit von Akteursperspektiven sichtbar machen. Ausgehend von einer Multispecies-Perspektive betrachtet sie auch, inwiefern nicht-menschliche Wirkende (z.B. Tiere, Pflanzen, Extremwetterereignisse) und ihre Netzwerke in das Waldökosystem, in die Aushandlungen und in das Gestalten von Zukunft eingeflochten sind.